Rumpunsch statt Glühwein, Palmen statt Weihnachtsbaum, Steelband statt Weihnachtsoratorium. Ich sitze in St. Lucia im sonnigen Cockpit und Weihnachtsstimmung will so gar nicht aufkommen. Im April sind wir ja in meiner neuen türkischen Heimat gestartet. Griechenland, Italien, Spanien, Marokko, die Kanaren und die Kapverdischen Inseln haben wir besucht. Reich an Erfahrungen und Erlebnissen brauche ich jetzt erst einmal Zeit um all das zu realisieren.
Und dann war da noch unsere Atlantiküberquerung. Viel Respekt, etwas Angst aber auch großes Vertrauen in Crew und Schiff haben die Zeit vor der Abfahrt geprägt. Sechzehn Tage auf See. Kein Internet, kein Telefon. Drei Stunden Wache, sechs Stunden Ruhezeit. Tag und Nacht. Und keine Sekunde Langeweile. Reisen, und besonders Reisen außerhalb der Komfortzone, bringen ja immer auch Erkenntnisgewinn. Ich bin mir jetzt sicher, dass segeln von Bucht zu Bucht, von Insel zu Insel, von Dorf zu Dorf doch die Art ist, die mir viel mehr Freude macht. Ich werde gewiss wieder in das reiche und vielfältige Mittelmeer zurückkommen. Und ich bin mir sicher, dass Ihr am ehesten verstehen könnt, wie sich Heimweh nach der Türkei anfühlt. Die Türkei, Griechenland und etwas Italien wird wohl mein zukünftiges Revier werden. Bei aller Faszination für die Ruhe, die der Atlantik ausstrahlt, bei dem tiefen Frieden, den ich unter dem Sternenhimmel während der Nachtwachen empfunden habe, die Ankunft hier war emotional der schönste Augenblick der Reise. Jetzt freue ich mich erst einmal darauf die karibischen Inseln zu erkunden.
Da auf der Yavas Yavas ja nur Pläne gemacht werden, damit wir etwas zum ändern haben, habe ich mich entschieden, meinen ursprünglichen Plan ab Juni in Richtung USA weiter zu segeln um ein Jahr zu verschieben. Bis Ende Mai werde ich in der Karibik unterwegs sein und die Yavas Yavas dann (hoffentlich!) hurrikansicher in St. Lucia an Land stellen. Seit April bin ich jetzt mit kurzen Unterbrechungen an Bord. Da freue ich mich auf ein halbes Jahr Segelpause. Die vielen, lieben Menschen mag ich treffen, für die ich so wenig Zeit hatte. Ich werde auch gewiss nach Deutschland kommen – und gerne auch zu Euch.
Zum Erkenntnisgewinn zählt auch, wie unwichtig so viele Dinge sind, über die wir uns täglich aufregen. Die ersten Blicke auf die Nachrichtenseiten nach 2 1/2 Wochen Pause gaben uns den Eindruck, dass fast nichts geschehen ist, zumindest nichts, was wirklich wichtig ist für uns.
Euch wünsche ich zu Weihnachten, dass Ihr Euch nicht über unwichtige Dinge ärgern müsst und, dass Ihr Euch über viele kleine, unwichtige Dinge freuen könnt.
Die Füße im Sand, die Palme über dem Kopf sende ich Euch karibische Weihnachtsgrüße
Euer segelnder, digitaler Analphabet
Wolfgang
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